Alfons Mucha 1860 - 1939
Slovanská epopej
Slawisches Epos
Ich hörte vom „Slovanská epopej”, dem Slavischen Epos von Alfons Mucha erst als ich Juni 2014 in Prag war. Natürlich kannte ich Mucha bereits von seinen bekannten und noch immer beliebten Jugendstil-Motiven. In Prag aber wird sein Slawisches Epos als sein „eigentliches” Werk gepriesen.
Ich hatte drei Gründe, mir Muchas „eigentliches” Werk anzusehen: Erstens soll mein Familienname, Kalab, den ich oft in der Slowakei sah, Ungarisch sein; zweitens wurde meine Mutter deutscher Abstammung in Tschechien geboren; und drittens reicht Muchas Slawisches Epos zurück in die Urgeschichte, genaugenommen in die Urgeschichte der Slawen. Ich nahm mir alle Zeit dafür, die mir vor meiner Rückkehr nach Wien blieb.
Mit Unterstützung der Stadt Prag präsentiert die Nationalgalerie Prag Muchas zwanzig große Bilder seines Slawischen Epos in einer passenden Halle im Erdgeschoß des Veletržní Palastes. Wie der offizielle Kommentar zur Ausstellung wiederholt erklärt scheute Mucha nicht davor zurück, historische Fakten an humanistische Ideen seiner Zeit und künstlerische Absicht anzupassen. Eingedenk dieser Einschränkung kann ich ihm Respekt nicht vorenthalten. Nicht nur für sein für seine Zeit großes Kunstwerk, sondern auch für seinen Versuch, eine Sicht zu entwickeln, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umspannt. Im letzten Gemälde der Serie, Apotheose der Slawen, vereinigt er Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Man kann den Stil und die Vorstellungen von Muchas Zeit, die ihn offensichtlich inspirierten, mögen oder auch nicht. Sein Epos verherrlicht weder Schlachten noch Krieg, sondern Frieden und Pazifizierung.
Lange bevor ich geboren war, erfasste Mucha auf seine Art eine Ansicht, zu der ich erst Hundert Jahre später gelangte. Wie Mucha es darstellte, war die Vorgeschichte gegenwärtig in der Geschichte, und ist sie noch immer gegenwärtig. Nur durch sich persönlich und gemeinsam bewusst zu sein von der Gegenwart der sehr langen Vergangenheit, darf die Menschheit hoffen, konstruktiv eine menschliche Zukunft zu gestalten. Mucha weist darauf hin, dass jedes Volk seine Verantwortung und seinen Anteil daran hat.
Nur zwei der zwanzig Gemälde von Muchas Slawischem Epos behandeln prähistorische Themen, aber sechzehn behandeln historische Themen. Die beiden letzten der Serie lassen sich interpretieren als Schlussfolgerungen aus seinen Überlegungen zur Prähistorie und Geschichte für Gegenwart und Zukunft, so wie er sie vor 100 Jahren ziehen konnte. Schon alleine wegen der Zahl der historischen Szenen könnte ich Muchas Werk in dem Abschnitt Geschichte auf meiner Website präsentieren. Dennoch präsentiere ich es im Abschnitt Prähistorie, um seinen Ansatz, der bewusst in der Prähistorie beginnt, zu würdigen. Er zieht Linien von der Geschichte zurück in die Vorgeschichte, oder, wenn man will, von der Vorgeschichte in die Geschichte; wie die Beziehung zwischen germanischen und slawischen Völker.
So tauchen der germanische Gott Thor und seine Wölfe bedrohlich auf in seinem zweiten prähistorischen Bild, „Die Feier des Svantovit auf Rügen”. Im dritten Bild, „Einführung der slawischen Liturgie”, schildert Mucha den Beginn kultureller Unabhängigkeit der Slaven von Germanen. Obwohl beide Völker bereits christianisiert waren, durften Slaven ihren christlichen Glauben nicht in ihrer eigenen Sprache feiern. Im 9. Jahrhundert erhielten sie unter dem Schutz der Kirchenfürsten von Byzanz und Rom dieses Recht. Und erst in der Szene, „Nach der Schlacht bei Tannenberg” am 15. Juli 1410, wiederum 600 Jahre später, schildert der Künstler einen kurzfristigen und teuren militärisch-politischen Sieg eines Slawischen Volkes über die Ritter des Deutschen Ordens. So umspannen die drei Gemälde ein Jahrtausend oder mehr. Offensichtlich fand Mucha, dass aktuelle Beziehungen zwischen Völkern zurückreichen können bis in die Vorgeschichte und dass ihre Entwicklung und Genesung Jahrhunderte und Jahrtausende in Anspruch nehmen kann.
So thematisiert Mucha Beziehungen zwischen Völkern, die Jahrhunderte und Millennia überdauern und relativiert kulturelle Veränderungen, die in dieser Zeitspanne auftreten können. Diese Betrachtungsweise, die mit Entwicklungen über Jahrhunderte und Millennia rechnet, erscheint mir nötig, um sinnvolle Schlüsse zu ziehen aus dem heutigen Wissen um die Prähistorie. Darum präsentiere ich Muchas Werk unter Prähistorie als ein mögliches Beispiel dafür, wie man mit dem Wissen um diese langen Zeiträume umgehen könnte. Dass er für seine künstlerischen Ziele historische Tatsachen veränderte vergesse ich dabei nicht.
Diese Seiten auf meiner Website sind nicht nur eine Hommage an Alfons Mucha als Maler, sondern auch als Philosoph und Visionär. Und sie sind eine Hommage an die Stadt Prag, die seine gemalte Philosophie allen zugänglich macht. Was Prag für sein Hauptwerk hält, besitz in meinen Augen heute große Bedeutung und großen Wert; vorbei an künstlerischem Stil und ethnischer und zeitlicher Beschränkung. Für mich ist Muchas Vision eine Vision wirkender Vergangenheit und möglicher Zukunft der Menschheit, ein Ausdruck der Hoffnung, wenn auch festgelegt und ausgedrückt in der Subjektivität und Beschränkung seiner Zeit und seines Ortes. Slawen sind ‚nur’ eine große Gruppe von Völkern, die, wie andere, Kräften ausgesetzt sind, unter denen der Mensch in einem Zeitraum von hunderttausenden von Jahren heranwuchs. Was früheren Generationen wie eine Utopie erschien, kann heute eine globale Notwendigkeit geworden sein.
Reihenfolge der Gemälde
Die hier gebotene Reihenfolge der Gemälde weicht ab, sowohl von der Reihenfolge in der Mucha sie malte und der Stadt Prag anbot, als auch von der Reihenfolge in der offiziellen Broschüre. Die Reihenfolge in der Mucha sie anbot sagt unter anderem etwas über seine innere Entwicklung während seiner Arbeit.
Soweit möglich präsentiere ich die Gemälde in der Reihenfolge der Ereignisse und Personen die sie darstellen. Die ersten beiden Gemälde beziehen sich auf Momente in der Vorgeschichte. Das Gemälde Berg Athos weist auf einen unbestimmten Zeitpunkt in der Geschichte; Pilger besuchen die Klöster auf dem Berg bis heute. Die letzten beiden Gemälde beziehen sich auf futuristische oder utopische Momente.
Mit meiner kleinen Kamera konnte ich keinen brauchbaren Bildern von den Gemälden machen. Die Abbildungen die ich verwende fand ich im Public Domain, auf Wikipedia und über die Website von Radio Prag. Sie können nicht mehr als nur einen bescheidenen Eindruck von Muchas Arbeit bieten.
Für die folgenden Seiten übersetzte ich dankbar den Text der offiziellen Begleitschrift der Nationalgalerie und der Stadt Prag zur Ausstellung vom Juni 2014:
Die Ausstellung wird von der Stadtgalerie Prag mit Unterstützung der Stadt Prag organisiert. Die Ausstellung befindet sich im Veletržní palác / Messepalast, Dukelských hrdinů 47, Prag 7, 170 00. Öffnungszeiten: täglich außer montags von 10.00 bis 18.00 Uhr.
Hintergrundabbildung: Alfons Mucha 1860 – 1939
Slavisches Epos Ausstellungsplakat 1930
Jklarno 2011 commons.wikimedia
- Prähistorie
Gegenwärtige Vergangenheit - Alfons Mucha - Slavisches Epos
- Chronologie
- 1 Die Slawen in ihrer ursprünglichen Heimat
- 2 Die Feier des Svantovit auf Rügen
- 3 Die Einführung der Slawischen Liturgie
- 4 Zar Simeon I. von Bulgarien
- 5 König Ottokar II. von Böhmen
- 6 Die Krönung des serbischen Zaren Stefan Uroš Dušan zum Oströmischen Kaiser
- 7 Johannes Militsch von Kremsier
- 8 Meister Jan Hus predigt in der Bethlehemskapelle
- 9 Die Zusammenkunft bei Křížky
- 10 Nach der Schlacht bei Tannenberg
- 11 Nach der Schlacht auf dem Veitsberg
- 12 Petr Chelčický
- 13 Der Hussitenkönig Georg von Podiebrad
- 14 Die Verteidigung von Szigetvár durch Nikola Zrinski
- 15 Die Brüderschule in Ivančice
- 16 Jan Amos Comenius
- 17 Die Abschaffung der Leibeigenschaft in Russland
- 18 Berg Athos
- 19 Der Eid der Jugend unter der Slawischen Linde
- 20 Apotheose der Slawen