Politische Allegorie
Kokoschka begann „Alice in Wonderland” während des deutschen Angriffs auf London von 1940 auf 1941. Damit befasste er sich erstmals als Maler mit dem „Anschluss” Österreichs an Deutschland im März 1933.
Kokoschka gebrauchte Lewis Carols „Alice”, um Engländern den „Anschluss” Österreichs zu thematisieren. Er verglich Österreich mit dem mundtot gemachten Mädchen, das sich zu fügen hat. In seinen Augen hatte die Appeasement-Politik Österreich seiner Existenz beraubt. Wie Alice war es in einer surrealen Welt gelandet.
Der weibliche Akt rechts, mit Rotkreuzbinde und Feigenblatt, stellt Österreich dar, das aus dem Bild hinaus auf den Betrachter zeigt und ihn auffordert, Stellung zu nehmen. Der Stacheldraht um Alice verweist auf die Internierungslager und Flüchtlingspolitik Englands. Die Mutter-Kind-Gruppe auf dem Barockaltar hinter ihr erscheint geköpft. Links im Bild sitzt ein Kind mit einer Gasmaske am Schoß seiner Mutter, die Alice mit großen Augen anschaut.
Die drei Männer in der Mitte symbolisieren Kapital, Militär und Klerus. Der linke Mann mit Regenschirm stellt einen Briten dar; der mittlere mit Hakenkreuzbinde, dem eine gezündete Handgranate aus der Hand fällt, einen Nazi; der rechte mit Beffchen einen Geistlichen. Ihre Hände entsprechen den drei Affen, die nichts sehen, nichts sagen und nichts hören. Hinter ihnen marschieren Soldaten durch das brennende Wien. Die Inschrift „INRI”, „Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum”, „Jesus von Nazaret, König der Juden”, am unterm Bildrand unter den Soldatenstiefeln, verbindet Österreich allegorisch mit der Passion, der Leidensgeschichte Jesu.
So stellt Kokoschka dem männlichen, kriegstreibenden Geschlecht das weibliche, mütterliche gegenüber, das sich, wie Alice, allem zum Trotz lächelnd behauptet. Mit dem Erlös solcher Bilder unterstützte Kokoschka österreichische Flüchtlinge, wie die Jugendorganisation „Free Austrian Movement” in Großbritannien.
Heinz Spielmann 2008: 106
Höhere Schule
Österreich war nach dem Staatsbankrott verarmt. Wie in allen anderen industrialisierten, um Absatzmärkte kämpfenden Staaten mußte auch da die Produktion künstlich angekurbelt werden.
Das staatliche Erziehungssystem wurde zum Problem. Den Wohlfahrtsstaat gab es noch nicht; nicht jeder in der Schule Ausgebildete konnte Staatsbeamter mit Pensionsanspruch werden. Aufgabe war, die Menschen möglichst zahlreich in den Wirtschaftsprozeß einzugliedern; das Handwerk hatte ja keine Zukunft mehr. Der Gefahr, daß die vom Land der Großstadt Zustrebenden verwahrlosten, halfen die neuen Fabriken ab, die das Menschenmaterial aufsaugten. Der Zulauf zu den höheren Schulen wurde von den Unterrichtsbehörden durch besonders schwere Aufnahmeprüfungen vermindert.
Daß ich nach der Volksschule doch in eine höhere Schule aufsteigen durfte, habe ich, wie immer in entscheidenden Phasen meines Lebens, meiner Mutter zu verdanken. Mein Vater war zu weltentrückt und vertraute einer selbständigen Existenz nicht mehr.
Oskar Kokoschka 2008: 42 - 43