Oskar Kokoschka
Kleine Anthologie
Im Mai 2015 besuchte ich das Oskar Kokoschka Haus in Pöchlarn, im Bezirk Melk, in Niederösterreich, wo meine Mutter und meine Schwester aufwuchsen.
Leider gab es von der dort gezeigten Dokumentation mit ihren politisch hochaktuellen und ethisch unentbehrlichen Aussagen des Künstlers keine erwerbbare Datenträger. Dies brachte mich auf den Gedanken, nach und nach eine kleine Sammlung mit Aussprüchen Kokoschkas zu erstellen, die mir einer Mitteilung wert erscheinen. In einer Blütenlese oder Anthologie, (gr. ἀνθολογία anthología, „Sammlung von Blumen”, lat. „florilegium”) versammelt der Zusammensteller literarische Äußerungen, wie Gedichte, Kurzgeschichten, Theaterstücke, Lieder oder Auszüge eines Schreibers.
Als Oskar Kokoschka 1937 physisch bedroht und moralisch als „entartet” geächtet war, war er damit auch entrechtet. Er sah die bürokratisch getarnte Menschenverachtung, Gefährdung Europas und der Menschheit, trat für den Menschen ein und wandte sich gegen Institutionen und Ideologien, die sich seiner im Namen der „Freiheit” bemächtigten:
Heute haben politische Tyrannen den Künstler geächtet, seitdem es, trotz der offiziellen Kunstgeschichte, klar wurde, daß seine Funktion eine soziale ist. Die romantische Legende ist zerpflückt, wie sie der Liberalismus erfunden hat, der Künstler ringe im elfenbeinernen Turm, in der Mansardenkammer mit einem unbekannten Gotte. – Romantik ist der trübe Einfluß auf Zeitmoral, Zeitgeschmack, Zeitphilosophie. Sie soll die Aufklärung bekämpfen, die der Geschichtsfälschung zuwider ist. Angestiftet von der modernen Plutokratie bedarf diese der Schützenhilfe eines mittelalterlichen Obskurantismus, um mitten im Frieden Völker mit Krieg überziehen zu können, um sich durch Terror, Spitzeltum und Massenhinrichtung an der Macht zu erhalten, um in Konzentrationslagern ihre Gegner peinigen zu dürfen und Pogrome anzustiften. Die Funktion des schöpferischen Menschen nun, die ihn im sozialen Sinne erst rechtfertigt, die ihn der Gewalt widerstehen heißt, ist, den Schleier des Aberglaubens vom menschlichen Handeln zu reißen, für das Leben zu zeugen mit seinem Leben.
Oskar Kokoschka 1937
Werner Hoffmann 2008: 21