Zu Entstehung, Entwurf und Gestaltung der „Nachrichten von Gläubigen aus Wien - Hietzing”
„Die Friedl? Die lernt das niemals! Die ist doch zu alt, um noch zu lernen, am Computer zu arbeiten.” So meinten manche, denen ich im Sommer 1983 die Idee „Nachrichten von Gläubigen aus Wien Hietzing” vorstellte.
Ich war anderer Meinung. Friedl Großkopf hatte nämlich lange Erfahrung als Anwaltssekretärin und war eine ausgezeichnete und zuverlässige Schreibkraft. Als professioneller Handbuchschreiber in der Computerindustrie sah ich ihre Qualitäten. So setzten wir uns einige Male zu zweit vor Gerhard Ginners „Apple IIe” - damals noch „cutting edge technology”, heute schon beinahe prähistorisch - und bald lief die Sache wie am Schnürchen. Neben dem Computer stand das Telefon als heißer Draht zu mir in die Firma. Für den Fall, dass ein Problem auftauchen sollte das Friedl nicht allein lösen konnte, was nur anfangs und selten der Fall war. Friedl Großkopf meisterte vier Jahre lang die Textfülle der Ausgaben am Computer und half jeweils, die neue Ausgabe in alle Welt zu versenden.
Entstehung,
Inhalt und Gestaltung
Entstehung, Inhalt und Gestaltung der „Nachrichten” werden verständlich aus der Geschichte der Hietzinger Gemeinde im Rahmen der Geschichte der Tulpengassengemeinden der frühen achtziger Jahre. Als 1983 endlich spruchreif wurde, dass die Tochtergemeinden der Tulpengasse selbstständig werden würden, bestand in der Hietzinger Gemeinde bereits das Bedürfnis für ein eigenes Informationsblatt. Es sollte eine geräumige Kommunikationsplattform werden für alle Gemeindeglieder und deren überkonfessionelle und weltweite Kontakte. Es begegnete auch zunehmenden sektiererischen Tendenzen (Ausgabe Mai 1985), autoritärem Führungsstil (Ausgabe September 1985) und heimlich praktiziertem Exorzismus. Im Juni 1983 lieferte ich einen formellen und Inhaltlichen Entwurf und im Oktober 1983 erschien die erste Ausgabe. Sie wurde an etwa 350 Empfänger gesandt.
Um der Kreativität und Vielfalt der Gemeindeglieder gerecht werden zu können, würde das Blatt auch künstlerischer und vor allem aber inhaltlich pluralistischer ausfallen müssen als das Tulpengassenblatt von manchen bis dahin erfahren wurde. Das Papierformat A4 bot künstlerischen Äußerungen mehr Möglichkeiten als das A5-Format des bisherigen Tulpengassenblattes. Will Kunst sich christlich nennen, setzt sie sich nicht ab von, sondern stellt sich bewusst hinein in ihre alte und lange Tradition. Gedichte, Kirchenlieder, klassische Holzschnitte und zeitgenössische Werke schlossen bewusst an diese lange Tradition an und bekannten sich dazu. Zugleich stellten sie die Gemeinde unausgesprochen dar als nicht mehr und nicht weniger als ein kleines Glied in der Vielfalt der bestehenden Kirchen, die den 2.000 Jahre alten und umfassenden „Leib Christi” auf seinem Weg durch die Zeit ausmachen.
Auch jene sollten zu Wort kommen, die bisher nicht zu Wort gekommen waren. Auch die vielen Kinder der Hietzinger Gemeinde und die lebendigen Kontakte zu anderen Gemeinden, Instituten und Missionaren sollten Raum bekommen. Die „Nachrichten” strahlten bewusst eine „freikirchliche” Identität aus, deren Rahmen in etwa in der „Österreichischen Evangelischen Allianz” gelegen gesehen werden könnte und in einer wachsenden Identifikation mit der österreichischen „Mennonitischen Brüdergemeinde”. Geschichtlich und kulturell Interessierte könnten die 33 Ausgaben vergleichen, zum Beispiel mit den Informationsblättern der Mutter- und Schwestergemeinden, um sich ein Bild zu machen von der Bedeutung der „Nachrichten” in der damaligen Zeit, und damit, wie es heute ist.
Künstlerische Bildung und Handbuchgestaltung in der Computer-Peripherie-Produktion brachte mich auf den Gedanken, Kalligrafie mit Computerausdrucken zu verbinden. Den Schriftzug der „Nachrichten” und die Überschriften kalligrafierte ich von Hand, während ich mit einem MT180-Nadeldrucker den Textkörper gestaltete. Der damalige Direktor von „Mannesman-Tally Wien” und mein Abteilungsleiter erlaubten großzügig den freien Gebrauch der nötigen Produktionsmittel in meiner Freizeit. Die Erfahrungen die ich mit der Produktion des Blattes sammelte kamen den technischen Handbüchern zugute und umgekehrt. Die Seite mit den Terminen entstand immer im letzten Moment, spät in der Nacht vor der Drucklegung, wobei gelegentlich der Direktor vorbeischaute. Herr Spät von der Druckerei „Spät und Mahler”, mit dem ich auch beruflich zu tun hatte und mit dem ich mich auch gut verstand, brachte den „Nachrichten” die nötige Sympathie entgegen.
„Nachrichten” Entwurf Juni 1983 | |
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Inhalt | Seite |
Zum Geleit | 1 |
Dürfen wir vorstellen | 2 |
Erlebt, erfahren, weitergeben, berichten | 2 |
Geburtstage, Hochzeiten, Promotionen | 5 |
Gesucht und abzugeben | 5 |
Grüße | 5 |
Kinderseite | 6 |
Lied des Monats | 7 |
Hörens-, lesens-, sehenswert | 7 |
Beifall, Pfiffe, Zweifel, Leserbriefe | 8 |
Termine, intern und extern, nah und fern | 8 |
Finanzielles | 8 |
Viele trugen bei
Es wird bereits deutlich sein: allein hätte ich die „Nachrichten” nie und nimmer herausgeben können. Viele trugen dazu bei und manche, aber bei weitem nicht alle, werden namentlich in den Inhaltsangaben genannt. Die Zusammenarbeit bereitete wohl nicht nur mir viel Freude. Friedl Großkopf nannte ich eingangs schon. Sie leistete den Löwenanteil der Schreibarbeit, was mir erlaubte, mich auf Planung, Redaktion und Lay-Out zu konzentrieren. Glieder des sogenannten Bruderrates, wie Dr. Gerhard Ginner, Peter Harrison und Sigi Nowak, beurteilten die Texte jeweils vorab. Dr. Martha Deimel erwies sich als geduldige und beharrliche Korrekturleserin. Obwohl in Gottesdiensten für die Finanzierung des Gemeindeblattes gesammelt wurde, trugen im Wesentlichen drei, vier Ehepaare die Kosten. Viele andere, die Inhaltlich zu den „Nachrichten” beitrugen, wurden in den Inhaltsangaben der Ausgaben genannt, und wieder andere wollten nicht genannt werden.
Geteilte Freude
Inzwischen hat sich manches geändert. Von denen, die zu den „Nachrichten” beitrugen, sind einige verstorben. Andere haben sich weltanschaulich nuanciert oder verändert. Wer sich damals begeistert äußerte, steht vielleicht nicht mehr ganz ungebrochen zum „jugendlichen” Enthusiasmus von einst; und so weiter. Das Internet fordert die Privatsphäre heraus. Es ist nicht jedermanns Sache, zum Beispiel auf Sozialen Medien „öffentlich zu leben”. Als öffentliches Organ waren die „Nachrichten” an die Nationalbibliothek und an Behörden zu senden. An der Österreichischen Nationalbibliothek sind sie registriert und einzusehen.
Amerikanische und Niederländische Mennoniten sind an ihrer Geschichte interessiert. Nach 30 Jahren erhalten die „Nachrichten” vielleicht geschichtlichen Wert. Bestreichen sie doch den Zeitraum von Oktober 1983 bis November 1986, in der die Hietzinger Gemeinde hinwuchs zur Österreichischen Mennonitischen Brüdergemeinde. Sollten sie an einem Exemplar im PDF-Format interessiert sein, können Sie mir ein E-Mail mit einer Motivation schicken.
Franz Kalab
Samstag, 18. März 2017
P. S. Versandstatistik
Eine noch bestehende Adressenliste von August und September 1985 erlaubt statistische Überlegungen zum Versand des damals ungewöhnlichen Gemeindeblattes. Sie erinnert für August 1985 407 und für September 1985 431 Empfänger.